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Lacrosse hofft auf Olympia-Boom

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Foto: Kenny Beele

von Bernd Schwickerath

Nach 120 Jahren wird Lacrosse 2028 in Los Angeles wieder olympisch. Die ganze Szene erhofft sich dadurch einen Aufschwung für ihren Sport. Auch in Düsseldorf beim DSC 99. Denn außerhalb von Nordamerika steckt Lacrosse auch nach mehreren hundert Jahren noch in den Kinderschuhen. Und Corona hat die Lage nicht gerade verbessert.

Vor gut zwei Wochen durften sie schon mal testen, wie es sich so anfühlt bei Olympia. Da machte sich eine Delegation des Deutschen Lacrosse Verbands (DlaxV) auf nach Paris, die beiden Vizepräsidenten Gina Kaysan und Jakob Großehagenbrock waren unter anderem ins Deutsche Haus eingeladen. Und das sei eine „mega Erfahrung“ gewesen, sagte Kaysan danach. „Die Atmosphäre war beeindruckend und der olympische Spirit förmlich greifbar. Es muss ein Traum sein, diese Atmosphäre als Lacrosserin erleben zu können.“

In vier Jahren wird das so weit sein. Zwar ist noch unklar, ob auch deutsche Teams dabei sein werden, aber zumindest besteht die Möglichkeit. Denn im Oktober hatte die lange Wartezeit ein Ende. Da nahm das IOC die Sportart in sein Programm für die Sommerspiele 2028 in Los Angeles auf. Lacrosse wird dann erstmals seit 120 (!) Jahren wieder offiziell zu Olympischen Spielen gehören.

Das war die Nachricht, auf die die Szene seit Jahrzehnten gewartet hat. Olympia sei der „wichtigste Katalysator für das weitere Wachstum einer Sportart“, jubelte Sue Redfern, Präsidentin des Weltverbandes World Lacrosse. Und darum geht es: Wachsen, eine der ältesten Sportarten der Welt endlich zu einem globalen Phänomen werden zu lassen.

In den Nationalteams verdient niemand Geld

Noch ist sie davon weit entfernt. Professionell wird Lacrosse bislang nur in Nordamerika gespielt, in Deutschland sind selbst die Spielerinnen und Spieler der Nationalmannschaften klassische Amateure. Dabei ist der Sport bereits mehrere hundert Jahre alt – und damit weitaus älter als die meisten anderen Disziplinen, die ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts über Großbritannien den Weg in die Welt fanden.

Zwar stammt der Name Lacrosse wohl von einem französischen Missionar, aber das Spiel an sich wurde von indigenen Völkern in Nordamerika erfunden. Und ist damit eines der wenigen indigenen Spiele, die institutionalisiert wurden mit einheitlichen Regeln, Verbänden und Ligen.

1904 war es dann olympisch, allerdings nahmen in St. Louis nur drei Teams teil: eins mit kanadischen Einwanderern, eins mit US-amerikanischen und die „Mohawk Indians of Canada“. 1908 in London war das indigene Team aber schon nicht mehr dabei, es traten nur noch zwei Mannschaften an, eine aus Kanada, eine aus Großbritannien. Danach war Lacrosse lediglich noch als so genannte „Demonstrationssportart“ bei Olympia zu sehen, aber auch das ist schon wieder mehr als 75 Jahre her.

Auch beim DSC 99 wird Lacrosse gespielt. Foto: Kenny Beele

Seitdem wurde gewartet und gearbeitet und verhandelt. Aber es half alles nichts. Es fehlte die globale Ausbreitung der Sportart, die bis jetzt für viele Außenstehende ein Mysterium ist. Dabei hat sie durchaus Ähnlichkeiten mit anderen Disziplinen, vor allem mit Eishockey, aber auch mit Feldhockey, Handball und Fußball. Gespielt wird mit einem Ball, es gibt zwei Teams, Torhüter, Zweikämpfe. Nur dass der kleine Ball eben mit einem besonderen Schläger gespielt wird, den es sonst nirgendwo gibt: Am Ende ist eine Tasche, in der der Ball getragen oder aus der er herausgeschleudert wird. Aber irgendwann muss er halt ins Tor.

Jens Egerding sah Lacrosse erstmals im Jahr 2000, „in American Pie“, wie er lachend sagt. Und damit ist der Düsseldorfer nicht allein. Die Teenager-Komödie zeigte den Sport einer ganzen Generation außerhalb Nordamerikas. „Ich hatte bis dahin 15 Jahre Fußball gespielt, aber unsere A-Jugend wurde aufgelöst. Ich habe einen neuen Sport gesucht“, erinnert sich Egerding, der dann eben den Film sah. Und als er kurze Zeit später auf einem Fitness-Portal auch noch einen Artikel über das für ihn neue Spiel las, suchte er sich einen Verein in der Nähe, ging einfach mal hin und ist bis heute dabeigeblieben.

Mittlerweile dreht sich sein halbes Leben um Lacrosse. Egerding, heute 40 Jahre alt, ist nicht nur immer noch Spieler, er ist auch Trainer und Funktionär. Beim Düsseldorfer Sportclub 1899 firmiert er als „Sportwart Herren“. Was sehr nach piefigem deutschen Vereinswesen und weniger nach einer spektakulären Sportart aus Amerika klingt. Aber so ist es nun mal, es braucht Strukturen, um einen Mannschaftssport auf einem gewissen Level zu betreiben.

Das tun sie an der Diepenstraße in Gerresheim. Der DSC 99 hat vier Teams: Damen, Herren, und jeweils eine U16. Er war auch schon mal Deutscher Meister, hat mehrfach Titelkämpfe ausgerichtet, dieses Jahr wieder die Play-offs der Bundesligen. „Im großen Rahmen für Damen und Herren zusammen. Das gab es so noch nie. Und das wird es durch eine Ligareform auch nie mehr geben“, sagt Egerding nicht ohne Stolz.

Seit 30 Jahren wird in Düsseldorf Lacrosse gespielt

In Düsseldorf wird Lacrosse sogar schon seit den 1990ern gespielt. Man kann das auf der Homepage des DSC 99 alles nachlesen. Kurzer Auszug: „So wurde im September 1994 in einer Altstadtkneipe der 1. Düsseldorf Lacrosse Club ,Düsseldorf Thunder‘ aus der Taufe gehoben.“ Und das sei gleich mehr als eine „Bierlaune“ gewesen.

Es wurde gar ein ehemaliger walisischer Nationalspieler als Trainer geholt. Nik Roberts hieß der, der schnell 18 Spieler um sich hatte. Aber einfach war es nicht, die Ausrüstung musste „mühsam“ in den USA bestellt werden, zudem gab es keinen eigenen Platz. Also ging es mal auf die Uni-Wiesen, mal in Parks, mal an den Rhein. „Viele Bälle sind dabei von bissigen Hunden, dem Rhein oder dichtem Buschwerk unwiederbringlich verschlungen worden“, schreibt der DSC. Das war natürlich kein Zustand, es brauchte etwas Neues.

Weil der Sport in Düsseldorf keine Lobby in der Politik oder in den Vereinen hatte, zog das Team 1998 nach Langenfeld um, nannte sich Lancers. Dort spielte es endlich auf einer richtigen Sportanlage mit festem Platz, Flutlicht und Kabinen. Doch obwohl die Infrastruktur passte, fanden die Spieler kaum Anschluss zu denen aus anderen Sportarten. Zudem wurde es immer schwieriger, Nachwuchs zu finden. Nach sechs Jahren ging es zurück nach Düsseldorf.

Seit 2004 sind die Lacrosse-Teams an der Diepenstraße zu Hause. Foto: Kenny Beele

Dabei half der Zufall. Mittlerweile war Jens Egerding dabei, und dessen ehemalige Klassenkameradin war die Tochter eines Vorstands beim DSC 99. Also wurde man sich einig, das Team zog 2004 nach Gerresheim, nannte sich fortan Düsseldorf Antlers. Und so ist das immer noch. Auf einem der Hockeyplätze sind mittlerweile sogar die dauerhafte Linien für Lacrosse – das gibt es in Deutschland nicht so oft.

Rundum glücklich ist Egerding dennoch nicht. Was allerdings nichts mit den Voraussetzungen beim DSC 99 zu tun hat, sondern mit der Gesamtentwicklung des Sports in Deutschland. Seit der Aufnahme bei Olympia heißt es immer wieder, der Sport würde jetzt boomen. Aber das gilt nur für einzelne Standorte, bundesweit kann das nicht gerade behauptet werden. „Weltweit hat sich etwas getan, man wird bei Olympia ja nur aufgenommen, wenn man auf mehreren Kontinenten vertreten ist, aber in Deutschland ist es sogar rückläufig“, sagt Egerding. Zwar soll es mittlerweile mehr als 60 Vereine und mehr als 5000 Aktive geben, aber manche Klubs müssen Spielgemeinschaften bilden. Bis auf Berlin gibt es keine Stadt mit mehr als einem Verein. Und auch die Homepage des Verbands könnte mal ein Update vertragen.

„Wir sind immer noch ein Entwicklungssport, uns fehlt die mediale Aufmerksamkeit, deswegen ist es schwer, Sponsoren und Nachwuchs zu bekommen“, sagt Egerding. Ein Problem: Jugendteams gab es lange Zeit nur für die U16. Das schloss viele aus, und in anderen Sportarten sind ja gerade die jüngeren Altersklassen voll. „Wir können nicht mehr warten, bis die Kinder 14 sind und dann den Weg vom Fußball zum Lacrosse finden. Wir wollen Kinder haben, die gerade mit dem Sport beginnen, auch Sechsjährige.“

Mittlerweile gibt es zumindest einige U12-Teams. Aber auch da ist es nicht einfach. Die Ausrüstung mit Schläger, Helm und einigen Protektoren ist nicht die günstigste. „Und viele wissen gar nicht, dass es das in Deutschland und erst recht in Düsseldorf gibt“, sagt Egerding. „Deswegen ist Olympia ein so großer Schritt für uns. Nächstes Jahr sind unsere Deutschen Meisterschafen auch bei den Finals dabei. Da bekommen wir Aufmerksamkeit.“

Die Pandemie merkt der Klub immer noch

Noch fehlt die. Aber das größere Problem in Düsseldorf sei die Pandemie gewesen. Japanische Spieler zogen zurück in ihre Heimat, ein Spieler wanderte aus, Studierende gingen in andere Städte, Schülerinnen und Schüler ebenso, andere wiederum hörten auf. Wie das halt immer so ist, aber in Corona-Zeiten waren die Abgänge nicht zu kompensieren. „Auf einen Schlag haben wir neun Leute verloren, das merken wir jetzt noch“, sagt Egerding.

Zuletzt ging es aber wieder bergauf. „ Wir haben wieder etwas aufgebaut, unsere Jugendarbeit ist mit die beste in Deutschland. Es reicht zwar noch nicht, um Meister zu werden, aber wir zehren davon.“ Was nicht zuletzt an Apostolos Hatzigiannidis liegt, genannt AP. Der US-Amerikaner wurde im Juni als Deutschlands „Jugendtrainer des Jahres“ ausgezeichnet. Und mittlerweile wird auch bei den Antlers eine U12 aufgebaut. Insgesamt gebe es aktuell um die 40 Aktive, die Tendenz ist wieder steigend.

Bislang wurde auch beim DSC 99 vor allem auf dem Großfeld gespielt. Foto: Kenny Beele

Was ihnen entgegenkommt: Dass man nicht mehr so viele Spielerinnen oder Spieler braucht, weil es mittlerweile mehrere Versionen gibt: neben dem Großfeld auch Varianten in der Halle und das populärer werdende „Sixes“. Wie der Name schon sagt, wird das nur mit sechs Leuten auf einem kleineren Feld gespielt. Und diese Variante wird es 2028 in Los Angeles geben. Wie beim Rugby wird also nicht die klassische Variante gespielt, sondern eine verkleinerte. Und sollte sich die mehr und mehr durchsetzen, werden logischerweise weniger Aktive benötigt. Oder es können mehr Teams gegründet werden.

Egerding hofft darauf. Zwar war er anfangs skeptisch, aber er freundet sich immer mehr mit Sixes an. Auch bei den World Games wurde bereits so gespielt. Und eben auch bei Olympia.

Um die Spiele in LA gibt es allerdings eine andere Kontroverse. Und die erinnert viele an den Rassismus, den indigene Teams oder Aktive immer wieder erleben mussten und müssen. Sei es durch Ausschluss von Wettbewerben oder Beleidigungen. Geht es nach US-Präsident Joe Biden, soll sich der Sport bei Olympia auf seine Wurzeln besinnen. In Los Angeles soll wieder eine indigene Mannschaft spielen. Die Haudenosaunee Nationals, eine Gruppe aus sechs indigenen Nationen aus dem Gebiet des heutigen US-Bundesstaats New York und angrenzende Teilen Kanadas.

US-Präsident will ein indigenes Team bei Olympia sehen

Ihre Vorfahren haben das Spiel erfunden. Sie haben es ein Jahrtausend lang perfektioniert“, sagte Biden schon 2023. „Es sollte ihnen eine Ausnahme gewährt werden, ihr eigenes Team bei den Olympischen Spielen aufzustellen.“ Aber das IOC ist dagegen, es können nur Teams von anerkannten nationalen Olympia-Verbänden aufgenommen werden.

Die USA oder Kanada könnten die Haudenosaunee als Vertreter ihres Landes schicken. Aber das wird wohl nicht passieren, in beiden Ländern gibt es Profispieler und feste Nationalmannschaften. Zwar könnten in die Auswahlteams einzelne Athleten der Haudenosaunee aufgenommen werden. Aber das wollen die wiederum nicht. „Das ultimative Ziel ist es, dass die Haudenosaunee eine Goldmedaille gewinnen“, zitiert die taz Teamchef Leo Nolan. Und die Chance ist gar nicht so klein: Bei den World Games 2023 gewann das indigene Team Bronze. Irland hatte zu Gunsten der Haudenosaunee auf seinen Startplatz verzichtet. Aber bei Olympia ist das nicht so leicht.

So sind mit der Rückkehr von Lacrosse viele Hoffnungen verbunden. Für Indigene, dass ihre Rolle in der Geschichte der Sportart mehr Anerkennung findet. Für Spielerinnen und Spieler, dass sie endlich auf der größten Bühne spielen können. Und insgesamt für die ganze Sportart, dass sie Millionen neue Fans gewinnt und wachsen kann. Auch in Düsseldorf hoffen sie drauf.

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