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„Oh, it’s saved“

England – seit 58 Jahren auf der Jagd

Foto: imago/Laci Perenyi

von Tobias Kemberg

Oft talentiert, regelmäßig tief enttäuscht und seit fast sechs Jahrzehnten titellos. Die „Three Lions“ treffen am Samstag in Düsseldorf auf die Schweiz. Und vor dem Viertelfinale ist die Stimmungslage rund um Trainer Southgate und sein Team alles andere als übertrieben hoffnungsvoll.

„The crosses of St George are flying all around me. Gareth Southgate, the whole of England is with you. Oh, it’s saved.“ („Überall um mich herum fliegen die Kreuze des Heiligen Georg. Gareth Southgate, ganz England ist bei dir. Oh, er wurde gehalten.“)

Mit jenen Worten des Originalkommentars von Jonathan Pearce beginnt das 1998er-Remake des Fußball-Hits „Three Lions“ aus dem Jahr 1996. Viele mögen es kennen. Die Worte von Pearce stammen aus dem dramatischen Elfmeterschießen im Halbfinale der Fußball-Europameisterschaft 1996 in Wembley zwischen Gastgeber England und Deutschland. Am dessen Ende es wie immer war: England verlor wieder mal ein Elfmeterschießen – und wieder einmal bei einem großen Turnier gegen Deutschland.

26 Jahre ist das Remake inzwischen alt, 28 Jahre sind seit der Veröffentlichung des Originalsongs der britischen Popband „The Lightning Seeds“ vergangen. Und doch hat sich für die Fußball-Nationalmannschaft Englands und ihre treuen Anhänger auf den ersten Blick nichts verändert. Noch immer jagt man dem zweiten großen Titel nach dem Triumph bei der Weltmeisterschaft 1966 im eigenen Lande hinterher. Und noch immer ist es vor einer WM oder EM dasselbe Spielchen: Es geht mit großen Ambitionen hin und am Ende setzt es eine weitere schmerzhafte Niederlage.

Schon wieder mittendrin im bekannten Schema

Englands Fußball lebt ein Stück weit von diesem Schema: Euphorie – Hoffnung – Enttäuschung – Ernüchterung, gepaart mit einer depressiven Prise Resignation. Dabei spielt es auch keine Rolle, ob der Kader des gerade amtierenden Trainers mit eher viel oder weniger fußballerischem Talent ausgestattet ist. Anno 2024 ist eher Ersteres der Fall, zumindest auf dem Papier. Harry Kane, Jude Bellingham, Phil Foden und Trent Alexander-Arnold sind ein paar Namen, die dies unterstreichen.

Doch vor dem Viertelfinale gegen die Schweiz am Samstag, dem letzten Spiel der UEFA EURO 2024 in Düsseldorf, ist gefühlt schon die dritte Phase des englischen Fußballzyklus eingeläutet. Denn die Jungs von Gareth Southgate, dem tragischen Helden von 1996 und seit immerhin 2016 Chef an der Seitenlinie, schöpfen ihr Potenzial nicht aus. Enttäuschende Auftritte in der Vorrunde und ein 2:1-Dusel-Sieg nach Verlängerung mit Last-Minute-Ausgleich im Achtelfinale gegen die Slowakei.

Woran das mit den enttäuschenden Auftritten liegt? Vielleicht an Southgate, der uninspiriert-mutlosen Fußball spielen lässt und medial sowie von Seiten der Fans aktuell so viel Gegenwind verspürt, wie man ihn in England sonst nur an der Küste vor den Kreidefelsen von Dover findet. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass englischen Kickern bei großen Turnieren schon traditionell die Beine schwer werden und das Kopfkino die Kontrolle übernimmt. Auf dem Papier scheint England gegen die Schweiz der Favorit zu sein. Doch selbst in England rechnen nicht wenige schon wieder mit einem frühzeitigen Ende der Träume.

Wann enden die „years of hurt“?

58 Jahre nach dem WM-Triumph von 1966 ist die Sehnsucht unverändert groß. „Football’s coming home“ wird gesungen – endlich soll der Fußball nach Hause kommen. Ein großer Titel soll her. Falls die „Three Lions“ wieder scheitern, dann dürfte auch die Zeit von Southgate abgelaufen sein. Dem mittlerweile elften Trainer seit Terry Venables, der 1996 mit seinem Team nur am üblichen Kyptonit-Cocktail aus Elfmeterschießen und Deutschland scheiterte. Dabei spielt es auch keine Rolle, dass Southgate mit seiner Mannschaft vor drei Jahren bis ins Finale der kontinentalen EM vorstieß und nur an Italien nicht vorbeikam – natürlich unterlegen im Elfmeterschießen.

Aber es gibt sicherlich auch noch immer die kühnen Optimisten unter denen mit dem Kreuz von St. George auf dem Shirt und im Herzen. Das perfekte Ende dieser EM wäre für sie natürlich ein Finale gegen Deutschland, aus dem England dann als Sieger hervorgeht. Aber das ist noch weit weg. Und irgendwie befürchten sie ja doch fast alle, dass aus den „30 Years of hurt“ („30 Jahren Schmerz“) aus dem Song von 1996 schon bald 60 Jahre werden könnten. Am Samstag aber geht es erst einmal gegen die Schweiz. Und sollte England gewinnen und sogar noch einigermaßen überzeugend auftreten, so würden – und das ist eben auch England – die Gesänge sicherlich ganz schnell wieder lauter werden. „Football’s coming home“?

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